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Es gibt unterschiedliche Wege auch außerhalb einer Therapie (bzw. ergänzend hierzu), an der eigenen Angst zu arbeiten. Neben der gedanklichen Auseinandersetzung kann man sich hierfür auch selbst mit angstauslösenden Situationen konfrontieren.

Im Folgenden wollen wir ein paar Ideen weitergeben, wie so etwas aussehen kann.

 

Gedankliche Auseinandersetzung

 

Es gibt zwei wichtige Fragen, wenn man beginnt, sich mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen:

  1. In welchen Situationen habe ich Angst?
  2. Warum habe ich in diesen Situationen Angst?

 

Zunächst ist also wichtig, zu analysieren, unter welchen Bedingungen die Angst auftritt. Welche Tageszeit ist gerade? Bin ich allein oder unter Menschen? Welche körperlichen Symptome lösen Angst aus (Hunger, Völlegefühl, Bauchweh, Durchfall, Kreislaufprobleme)? Hab ich gerade Ruhe oder bin ich im Stress? Wo befinde ich mich gerade? Welche Gefühle treten neben der Angst auf? Wann hat die Angst angefangen, wann hört sie auf?

Die Frage, warum man in diesen Momenten Angst hat, beantwortet sich bei Emetophobikern natürlich erstmal damit, dass sie Angst haben, sich zu erbrechen oder andere dabei sehen zu müssen. Doch dahinter steckt in den meisten Fällen noch etwas mehr. Hier gilt es nun, zu schauen, welche Befürchtungen, Ängste oder Sorgen man mit dem Akt des Erbrechens verbindet. Hat man Angst, die Kontrolle über den Körper zu verlieren? Hat man Angst, sich zu blamieren? Verbindet man das Erbrechen mit einer Erinnerung, die sehr schlimm war? Befürchtet man, sich selbst als ekelbehaftet zu empfinden, wenn man sich übergibt? Hat man Angst vor Wertung durch andere? usw.

Wenn man sich diese Fragen beantworten kann, geht es noch einen Schritt weiter, nämlich mit der Frage, wie die Befürchtungen und Ängste rational relativiert werden können. Was kann man den verqueren Gedanken entgegen setzen? Unterstützung und Hilfe hierzu findest Du auch in unserem Forum, wo Du dich mit anderen Betroffenen austauschen kannst.

In der Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen Ängsten ist auch wichtig, sich Pausen zu gönnen und sich mit Dingen zu beschäftigen, die ganz frei von Belastungen einfach nur Spaß machen. Manchmal kann es sogar wichtig sein, sich selbst Grenzen zu setzen. Denn wenn man sich ausschließlich mit Grübeln und Reflektieren beschäftigt, entsteht schnell das Gefühl, dass das Leben nur noch aus Emetophobie besteht. Nicht jedes Bauchzwicken steht für ein verdecktes Gefühl!

 

Konfrontation im Alltag

Zu allererst sei noch mal angemerkt, dass mit Konfrontation nicht gemeint ist, dass man sich selbst zum Erbrechen bringt.

Konfrontation im Alltag zielt zu allererst darauf ab, sich das über lange Zeit antrainierte Vermeidungsverhalten (oft leider sehr mühsam) wieder abzutrainieren. Hierfür ist es wichtig, sich genau den Situationen auszusetzen, die mit Angst behaftet sind und wieder zurück zu einem geregelten Alltag zu finden. Dabei ist es bedeutsam, zu verstehen, dass auch Nicht-Phobiker Erbrechen nicht gerade als angenehm empfinden und der Akt des Erbrechens von Natur aus mit Alarmsymptomen des Körpers (z. B. Schwitzen oder Herzklopfen) verbunden ist.

Das Ziel bei der Bearbeitung der Emetophobie ist es also nicht, sich irgendwann freudig übergeben zu können, sondern einem „normalen“ Alltag nachzugehen, in dem die Phobie nicht mehr das Leben bestimmt und man auch Freude und Unbeschwertheit empfindet.

Zunächst ist es ratsam, sich grobe Ziele zu setzen, z. B. den Schulabschluss/ Berufsabschluss machen, eine Familie zu gründen (wenn man das will), ein neues Hobby finden, das Haus wieder verlassen usw. Ziele dienen der Motivation und helfen, den Weg, den man einschlagen möchte, zu strukturieren. So ist es z.B. für das Erreichen des Schulabschlusses erst mal nicht vorrangig, mit dem Flugzeug in Urlaub fliegen zu können, sondern regelmäßig die Schule zu besuchen. Es ergibt sich somit automatisch eine Prioritätenliste, die es leichter macht, drauf loszugehen.

Um zu wissen, wo genau man hinschauen und anfangen muss, kann es hilfreich sein, sich mit dem Thema Phobophobie, also der Erwartungsangst, auseinanderzusetzen, die meist der Auslöser für umfangreiches Vermeidungsverhalten ist. In einem folgenden Schritt ist es erforderlich, eigenes Vermeidungsverhalten aufzudecken, um es ändern zu können. Meist ist man auf dem richtigen Weg, wenn sich durch Dinge, die man verändert, die Angst erst einmal verstärkt. Oft reicht auch der Gedanke an die Veränderung. Z. B. tragen viele Emetophobiker ein großes Equipment an Lutschpastillen und Kaugummis mit sich herum. Dies ist aus gesundheitlicher Sicht auch sicherlich besser als Arzneimittel. Dennoch entwickelt sich hierüber oftmals eine psychische Abhängigkeit. Fürchtet einen beispielsweise der Gedanke, ohne Lutschbonbons aus dem Haus zu gehen, bietet genau dies einen idealen Ansatzpunkt. Die Geschwindigkeit, in der Veränderungen im Alltag vorgenommen werden, kann natürlich selbst bestimmt werden, dennoch gilt leider: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Hat man begriffen, wie man bei sich selbst gewollt Angst auslösen könnte, ist man meist schon einen entschiedenen Schritt weiter und hat eine gute Ausgangsbasis, um im Alltag zu lernen, entsprechende Situationen gekonnt zu meistern.

Emetophobie entwickelt sich über lange Zeit. Ebenso verschwindet sie nicht über Nacht. Sich unter Druck zu setzen, ist oft eher kontraproduktiv, obgleich uns natürlich bewusst ist, dass nicht selten familiärer, gesellschaftlicher, beruflicher/schulischer o. ä. Stress im Hintergrund stehen.

Binnen drei Wochen wieder zum „Normalo“ zu werden, ist utopisch. Eher sollte man sich erst mal ein Zeitfenster von Pi mal Daumen 5-7 Jahren setzen, um kontinuierliche Erfolge verzeichnen zu können, denn "Rückschläge" gehören (leider) zu jedem Genesungsprozess und nicht jeder Weg, den man einschlägt, ist auf Anhieb der individuell richtige.

ACHTUNG!

Konfrontation im Alltag bedeutet nicht, dass man von einem Extrem ins andere fallen muss und sich mutwillig in Situationen zu bringen, die eine Erkrankung o. ä. mit sich bringen. Weder ist es heldenhaft noch sonst wie positiv, sich beispielsweise allgemeingültigen Hygieneregeln zu widersetzen, um sich zu beweisen, wie stark und gelassen man ist (oder gerne wäre). Es ist kein Erfolg, sich einfach nicht mehr die Hände zu waschen, beim Stall ausmisten nebenbei ein Butterbrot zu essen oder wenn der Kindergarten wegen Krankheit schon kurz vorm Schließen ist, das Kind doch noch mal einen halben Tag hinzubringen.

Die Hauptdevise lautet hier: das richtige Mittelmaß finden. Hilfreich ist in der Regel, sich kurz drauf zu besinnen, wie andere – Nicht-Betroffene – mit der jeweiligen Situationen umgehen würden.

Auch wenn es Dir jetzt in diesem Moment gerade vollkommen unmöglich erscheint – etliche andere haben es geschafft. Sie haben an dem Punkt angefangen, an dem du im Augenblick bist! Vielleicht sogar aus einer noch viel schwierigeren Ausgangssituation. Auch du wirst es schaffen! Werde dein eigener Experte, lerne, Dich und deine spezielle Situation zu verstehen und trau Dich, etwas zu unternehmen! Auch wenn du aktuell keine Vorstellung davon hast, wie ein Leben nach dem Emetophobie-Zeitalter aussehen könnte, es fühlt sich ruhig, ausgeglichen und selbstbestimmt an und dahin zu kommen, schaffst auch Du! Wie alt Du bist, spielt dabei keine Rolle, nur dein Wille und Durchhaltevermögen sind das A und O.